Melbourne, im botanischen Garten,
am 25 Juli 1863
Hochverehrter Herr Geheimrath u. Präsident!
Es bedarf nicht meiner Versicherung, dass der Empfang Ihrer gütigen Zuschrift vom
29. April mich mit tiefer Freude erfüllte. Für mich liegt ein unendlich wonniges Gefühl
in dem Bewusstsein der Zuneigung eines Gelehrten, der so würdig in der alten kaiserlichen
Akademie deutscher Naturforscher den Vorsitz hält, den wir zu den Herren der Naturwissenschaft
dieses Zeitalters zählen, und dessen geistreiche Schriften mich stets mit Enthusiasmus
erfüllten und mit den Werken von Humboldt u wenigen andern strahlenden Gelehrten in
meinem jugendlichen Gemüth so tiefe Eindrücke zurückliessen um meinem Lebensplane
seine Richtung zu geben.
Dass mein begonnenes Werk über die Pflanzen dieser Colonie sich des Beifalls eines
genialen Meisters wie Sie erfreut, ist eine von den freudigen Thatsachen, welche mich
ermuntert der Weiterforschung in Australiens Pflanzenwelt auch fürder meine Kräfte
zuzuwenden. Sie, ehrwürdiger Herr, der vor meinem Dasein schon in den herrlichen Tropenwäldern
Brasiliens wirkte, werden immer, ich weiss es, mit Nachsicht die Unvollkommenheit
derjenigen Arbeiten beurtheilen, die mit mangelhaften literarischen Apparat und noch
dürftigen Gelegenheiten für critischen Vergleich entfernt von den grossen Stätten
der Gelehrsamkeit hervorgehen. Unser jugendliches Land war ja vor wenigen Decennien
noch eine unbekannte Wildniss, und massgebend sind daher unsere Wissenschafts-Institute
noch nicht genug gereift, um unabhängigen Arbeiten hier denselben Aufschwung zu geben
als daheim.
Empfangen Sie, Verehrter, auch den Ausdruck meines innigen Dankgefühls für die Güte,
aus
Ihrer
Hand die mir freundlichst zugesandten Veröffentlichungen der
u.
zu erhalten. Letztere werden mir namentlich bei künftigen Untersuchungen über
des tropischen Australien willkommen sein, weil jene auch bei uns weit hervorragende
Pflanzenfamilie reich mit Äquinoctial-Typen erfüllt ist.
Es bedarf nicht meiner Versicherung, dass ich bei der Vertheilung meiner überzähligen
Pflanzen-Exemplare, bereitwillig für Ihre wichtige Sammlung Beiträge zurücklegen werde.
Auch Ihre Wünsche auf Erlangung von australischen Arzneistoffen werde ich gern berücksichtigen.
Ein schwankender Gesundheitszustand, wohl durch Entbehrungen auf meinen ausgedehnten
australischen Reisen herbei geführt, hat es seit einiger Zeit für mich schwer gemacht,
immer baldigst den Wünschen der Gelehrten zu entsprechen, welche von hier aus ihre
Sammlungen zu vervollständigen wünschten. So ist denn auch eine Weile verstrichen,
bis, wie es kürzlich geschah ich es vermochte Ihrem verehrten Bruder in Erlangen das
balsamisch-duftende u an Benzonsäure so reiche
Harz von hier zu senden, zumal da das Bäumchen in der Nähe unserer Hauptstadt nicht
vorkommt. Jetzt erstarkend hoffe ich mich in Zukunft prompter zu zeigen. Unser gemeinsamer
Freund Dr W. Sonder, wird mit seiner gewohnten Bereitwilligkeit gewiss die Weiterbeförderung
meiner Sendungen vermitteln. Ich werde auch die Ehre haben, Ihnen die bisher erschienenen
3 Bände der Fragm. phytogr Austr. vorzulegen u. nicht verfehlen die Fortsetzung folgen
zu lassen.
Während eines kurzen Aufenthalts in Brasilien sammelte ich im Orgel-Gebirge. Nach
meiner Übersiedling in Australien ging mir der brasilianische Theil meiner Sammlung,
welche ich Ihnen zugedacht, durch das Niederbrennen eines Speichers in Adelaide verloren.
Unter dem Gesammelten befand sich Ruppia maritima aus der Bucht von Rio de Janeiro.
Ich erkannte selbige mit Sicherheit als identisch mit der von mir in Deutschland u.
Dänemark beobachteten Art, welche auch in Australien vorkommt, u. welche die Scandinavier
jetzt nach Linné's Vorlagen als
bezeichnen. Selbige ist durch die sehr langen spiralen Fruchtstiele u. die grossen
Antheren besser von
unterschieden als durch die von Koch angebenen Merkmale, wenn ich überhaupt eine
zarte Art mit sitzenden Fruchtdolden als R. rostellata richtig erkannte. Die brasilianische
Pflanze zeichnet sich noch besonders durch etwas tuberculöse Früchte aus.
In diesen Tagen bat mich der Präsident der philosophischen Gesellschaft von Neu-Seeland,
Hr Dr Julius Haast zu Christchurch, der als Regierungsgeologe sich bereits um die
Geographie u. Naturkunde jener schönen Insel so verdient gemacht, ihn als einen Kandidaten
der kaiserlichen Carol. Leop. Academie vorzuführen, was ich diesem gediegenen Gelehrten
Ihrer Huld empfehlend, mit herzlicher Bereitwilligkeit thue, da ich weiss dass der
Ehrensitz an einen dankbaren u. würdigen Mann vergeben würde.
Ich möchte dies Schreiben nicht schliessen, ohne in kurzen Worten die Fehde über das
Dasein von Species in der Natur zu berühren. Meine vieljährigen Beobachtungen im Felde
haben mich stets das Unwandelbare der Species erkennen lassen. In Australien, wo die
Übergänge von Glacier-Regionen zu Tropenwäldern u. dürren Einöden u. Wüsten vielleicht
plötzlicher als meist anderswo sind, bot sich mir bessere Gelegenheit die Beugsamkeit
der Pflanzenarten zu climatischen und zu geologischen Verhältnissen zu ermitteln als
manchen andern Beobachtern. Immerfort aber drang sich mir die Überzeugung auf, dass
die Natur Species schuf, dass aber der Formenkreis derselben häufig verkannt wurde,
u. dass daher selbst von den leuchtendsten beschreibenden Pflanzenforschern unendlich
viel Varietäten als wahre Arten angenommen wurden. Aus der Unmöglichkeit diese wankenden
Gebilde zu begränzen entsprang der Irrwahn, wieder erregt in neuerer Zeit, von der
Wandelbarkeit der Species. Doch aber überschreiten diese nie die Grenzen der Form,
welche ihnen am Schöpfungstage aufgeprägt wurde, und unter den ewigen unwandelbaren
Gesetzen der Natur werden diese Gestalten beständig bleiben bis unsere Schöpfungs-Epoche
erlischt! Anders ist es mit der Begränzung der Gattungen u. Ordnungen, die unsern
individuellen Ideen entwuchsen, und die in der Natur nicht begründet sind. Über diese
werden daher unsere Meinungen endlos streiten, über jene sollten in späterer Zukunft
sie es nicht! —
Möge die schirmende Vorsehung Sie, ehrwürdiger Herr u. Meister, lange der Wissenschaft
u Ihren Verehrern erhalten!
Mit tiefer Ehrerbietung der Ihre
Ferd Mueller,
Ritt. v. Dannebr. u d. Ehrenlegion
Melbourne Botanic Garden,
25 July 1863.
Revered Privy Councillor and President,
It does not require my assurance, that the receipt of your kind communication of 29th
of April
filled me with deep joy. There is an infinitely blissful feeling for me in the awareness
of possessing the favour of a savant, who presides so worthily over the old Imperial
Academy of German Scientists,
whom we count among the masters of the natural sciences of this age, and whose enlightened
writings have always filled me with enthusiasm and, together with the works of Humboldt
and a few other illustrious scientists,
left such deep impressions on my youthful mind as to give direction to the plans
for my life.
That the commencement of my work on the plants of this colony enjoys the applause
of such a genial master as you is one of the happy events that encourage me to continue
to expand my efforts on the research into Australia's vegetation.
You, venerable Sir, who laboured in the wonderful tropical forests of Brazil already
before my existence, will always, — I am sure of it, — judge with indulgence the imperfections
of those works, which are carried out with inadequate literary reference works and
still sparse opportunities for critical comparisons, and far from the great centres
of learning. Only a few decades ago our young country was still an unknown wilderness,
and our scientific institutes are therefore not yet sufficiently matured to give the
same support to independent work as those at home.
Accept also the expression of my sincerest feelings of gratitude for your kindness,
revered Sir, to have received from
your
hand the publications on the
and
kindly sent to me.
The latter in particular will be very welcome in future examinations of
from tropical Australia, because here, too, they are a very prominent family of plants
rich in equatorial types.
It does not need my assurance that, in the distribution of my spare duplicates, I
shall willingly put aside contributions for your important collection. I am also happy
to give consideration to your wishes to acquire Australian medicinal materials. A
precarious state of health, probably brought about by privations during my extensive
Australian travels, has made it difficult for me for some time always to meet quickly
the wishes of scientists, who want to complement their collections from here. Thus
some time had passed, before I was able, — as I have done recently, — to send the
fragrantly aromatic
resin so rich in benzoic acid to your esteemed brother in Erlangen,
as the small tree is not found near our capital city.
Now recovering, I hope to be more prompt in future. Our mutual friend, Dr W. Sonder,
will, I am sure, attend to the forwarding of my consignments with his usual willingness.
I shall also have the honour to place before you the first three volumes published
to date of my Fragmenta phytographiae Australiae, and I shall not fail to follow up with their continuation.
During my brief stay in Brazil I collected in the Organ Mountains.
After my emigration to Australia I lost the Brazilian part of my collections, which
I had intended for you, through a fire in a storeroom in Adelaide. The collection
contained Ruppia maritima from the bay of Rio de Janeiro. I recognised it with certainty
as identical with the species I had observed in Germany and Denmark, which occurs
also in Australia, and which the Scandinavians now call
after the specimens of Linnaeus. It is better distinguished from
by its very long spiral fruit stalks
and the large anthers, than by the characters given by Koch,
that is, if I correctly identified a delicate species with sessile inflorescence
as R. rostellata. The Brazilian plant was distinct particularly by somewhat tubercular fruit.
A few days ago the President of the Philosophical Society of New Zealand, Dr Julius
Haast at Christchurch, who has also gained great merit in the fields of geography
and the natural sciences of that beautiful island in his position of Government Geologist,
asked me to introduce him as a candidate for membership in the Imperial Leopoldine-Carolinian
Academy,
something I do with sincere willingness for this sound scientist, recommending him
to your graciousness because I know that this place of honour would go to a grateful
and worthy man.
I do not want to close this letter without touching in a few brief words on the controversy
about the existence of species in nature. My observations in the field over many years
have always led me to recognise the immutability of species. In Australia, where the
transitions from glacier regions to tropical forests and barren wilderness and desert
are perhaps more abrupt than elsewhere, I was offered greater opportunities to establish
the adjustment of species of plants to climatic and geological conditions, than many
other observers. But the conviction was constantly forced upon me, that nature created
species, but that the range of their forms was frequently not recognised, and that
therefore innumerable varieties were accepted as true species even by the most illustrious
of describing botanists. From the impossibility of circumscribing the limits of these
inconstant entities arose the delusion, once more resurrected in recent times, of
the mutability of species. Yet these never trespass across the limits imposed on them
on the day of creation, and these entities will remain constant according to the eternal
never-changing laws of nature until this creation comes to an end. It is different
with the limitation of genera and orders; these are the results of our individual
ideas and are not founded on nature. About these, therefore, our opinions will differ
endlessly, but about the first they should not in future times.
May Providence long protect you and preserve you to science and to your admirers,
venerable Sir and Master!
With deep respect your
Ferd. Mueller,
Knight of the Dannebrog and of the Legion of Honour.