Copie
Melbourne, im bot.Garten 12/8/63.
Hochverehrter Herr Geheimrath u. Präsident.
Es bedarf nicht meiner Versicherung, dass der Empfang Ihrer gütigen Zuschrift vom
29. April mich mit tiefer Freude erfüllte. Für mich liegt ein unendlich wonniges Gefühl
in dem Bewusstsein der Zuneigung eines Gelehrten, der in der Akademie der Naturforscher
so würdig den Vorsitz hält, den wir zu den Herren der Naturforscher zählen und dessen
geistreiche Schriften mich nicht nur mit stetem Enthusiasmus erfüllten, sondern auch
zugleich mit Humboldts Werken in meinem jugendlichen Gemüth einen so tiefen Eindruck
zurückliessen, um meinem Lebensplane seine Richtung zu geben.
Dass mein begonnenes Werk über die Pflanzen dieser Colonie sich des Beifalls eines
genialen Meisters wie Sie erfreut, ist eine von den freudigen Thatsachen, welche mich
zum Weiterforschen in der Pflanzenwelt Australiens ermuntert.
Sie, ehrwürdiger Herr, der vor meinem Dasein schon in den herrlichen Tropenregionen
Brasiliens wirkte, werden, ich weiss es, Arbeiten mit Nachsicht beurtheilen, welche
mit unvollkommenen literarischen Hülfsmitteln und unter mangelhafter Gelegenheit für
kritischen Vergleich entfernt von den grossen Stätten der Gelehrsamkeit hervorgingen.
Unser jugendliches Land war ja vor wenigen Decennien noch eine unbekannte Wildniss,
und unsere Wissenschafts-Institute sind daher noch nicht dahin gelangt, um unabhängigen
Arbeiten hier denselben Aufschwung zu geben als daheim.
Empfangen Sie, Verehrter, den Ausdruck meines innigen Dankgefühls für die Güte, aus
Ihrer
Hand die mir freundlichst zugesagte Veröffentlichung der Myrtaceen u. Leguminosen
zu empfangen. Letztere werden mir namentlich für die kritische Untersuchung der Leguminosen
des tropischen Australiens, wo selbige die bei Weitem grösste u. mit Äquinoctialformen
angefüllte Familie bilden, von Werth u Nutzen sein. Es bedarf kaum der Versicherung,
dass ich bei der Vertheilung meiner überzähligen Pflanzenexemplare freudig für Ihre
Sammlung Beiträge zurücklegen werde. Auch Ihre Wünsche für australische Arzneistoffe
werde ich nicht unberücksichtigt lassen. Ein schwankender Gesundheitszustand, herbeigeführt
durch die Entbehrungen u. Anstrengungen auf meinen ausgedehnten Reisen, machte es
für mich seit einiger Zeit schwer, den Wünschen gelehrter Freunde immer schleunig
zu entsprechen. So verfloss denn auch eine Weile, ehe ich, wie es kürzlich geschah,
das balsamische an Benzonsäure so reiche
Harz Ihrem verehrten Herrn Bruder in Erlangen zu liefern vermochte, zumal da das
Bäumchen in der Umgebung unserer Hauptstadt nicht vorkommt. Mich jetzt erholend hoffe
ich mich in Zukunft prompter zu zeigen, u. unser gemeinsamer Freund, Dr Sonder, wird
gewiss mit gewohnter Bereitwilligkeit die Weitersendungen von Hamburg vermitteln.
Ich werde bei der Gelegenheit die Ehre haben Ihnen die Bände der Fragment. phyt. Austr
vorzulegen, so wie die Fortsetzung meines Werkes über die Pflanzen Victoria's.
Während meines kurzen Aufenthalts in Brasilien sammelte ich eifrig im Orgel-Gebirge;
aber nach meiner Übersiedlung nach Südaustralien verlor ich diesen Theil meiner Sammlungen
durch das Niederbrennen eines Speichers. Unter dem Gesammelten befand sich
aus der Bucht von Rio de Janeiro. Ich erkannte selbige mit Sicherheit als identisch
mit der von mir in Deutschland u. Dänemark beobachteten Art, welche die Scandinavier
jetzt nach Linne`s Vorlagen R.spiralis nennen. Selbige ist durch die langen spiralen
Fruchtstiele u. die grossen Antheren besser von
unterschieden, als durch die von Koch angegebenen Merkmale, wenn ich Kochs Pflanze
richtig erkannte in derjenigen, welche in Schleswig-Holstein häufig vorkommt u. durch
sitzende Fruchtdolden ausgezeichnet ist. Die brasilianische Pflanze ist etwas auffallend
durch ihre tuberculösen Früchte.
In diesen Tagen hat mich der Präsident der philosophischen Gesellschaft von Neu Seeland,
Hr Dr. phil. Julius Haast, der als Regierungs Geologen sich um die Geographie u Naturgeschichte
jener schönen Insel so verdient gemacht, ihn als Candidaten der kaiserlichen Akademie
der Leopoldina zuzuführen, was ich, indem ich diesen gediegenen u liebenswürdigen
Gelehrten Ihrer Huld empfehle, mit herzlicher Bereitwilligkeit thue, da ich weiss,
dass die Ehre an einen würdigen u.dankbaren Mann vergeben würde.
Ich möchte dies Schreiben nicht ohne die Mittheilung schliessen, dass meine nun 22
jährigen Beobachtungen im Felde mich stets das Unwandelbare der Species in der Natur
erkennen liessen. In Austrtalien, wo die Übergänge von Glacierregionen zu Tropenwäldern
u dürren Wüstenstrichen hier u da plötzlich sind, bot sich mir die Gelegenheit dar,
die Beugsamkeit der Pflanzenarten zu climatischen u. geologischen Verhältnissen vielseitig
zu ermitteln, u immerfort drang sich mir die Überzeugung auf, dass die Natur Species
schuf, dass aber der Formenkreis derselben zu oft verkannt wurde, u. unendlich viel
Varietäten selbst von den leuchtendsten beschreibenden Pflanzenforschern als Arten
angenommen wurden. Aus der Unmöglichkeit diese wankenden Gebilde zu begrenzen entsprang
der Irrwahn, wieder erregt in der neuesten Zeit, von der Wandelbarkeit der Species.
Doch aber änderten diese nie, ich fühle es, die Formen welche am Schöpfungstage ihnen
aufgeprägt ward, u. in den ewigen Gesetzen der Natur werden diese Gestalten unverändert
bleiben bis unsere Schöpfungsepoche erlischt. Anders ist es mit der Begränzung der
Gattungen u Ordnungen, die aus individuellen Ansichten der Beobachter entsprangen
und in der Natur nicht begründet sind. Über diese werden daher unsere Meinungen ewig
streiten, über jene sollten sie es nicht, wenn in späterer Zukunft der Formenkreis
aller Arten ermittelt wurde.
Möge die schirmende Vorsehung Sie, verehrter Herr, lange der Wissenschaft u Ihren
Verehrern erhalten!
Mit Ehrerbietung der Ihre
Ferd. Mueller
Herrn Geheimrath u Präsidenten
Prof Dr v. Martius, München.
Copy
Melbourne Botanic Garden,
12 August 1863.
Revered Privy Councillor and President,
It does not require my assurance, that the receipt of your kind communication of 29th
of April
filled me with deep joy. There is for me an infinitely blissful feeling in the awareness
of possessing the favour of a savant, who presides so worthily over the Academy of
Scientists,
whom we count among the masters of scientists, and whose enlightened writings have
not only filled me with constant enthusiasm, but also, together with Humboldt's works,
left such a deep impression in my youthful mind as to give direction to the plans
for my life.
That the commencement of my work on the plants of this colony enjoys the applause
of such a genial master as you is one of the happy events that encourage me to continue
my researches into the Australian vegetation.
You, venerable Sir, who laboured in the wonderful tropical regions of Brazil already
before my existence, will, — I am sure of it, — judge with indulgence works that were
carried out with inadequate literary reference works and with lacking opportunities
for critical comparisons, far from the great centres of learning. Only a few decades
ago our young country was still an unknown wilderness, and our scientific institutes
have therefore not yet advanced to the point, where they can offer the same support
to independent work here as at home.
Accept, revered Sir, the expression of my sincere feelings of gratitude for the receipt
from
your
hand of the kindly promised publication of the
and
.
The latter in particular will be of great value and help for the critical examination
of the
of tropical Australia, where they form by far the largest family full of equatorial
forms. It hardly needs my assurance that in the distribution of my spare duplicates
I shall be happy to put aside contributions for your collection. Nor shall I fail
to give due consideration to your wishes for Australian medicinal materials. A precarious
state of health, brought about by the privations and efforts during my extensive travels,
has made it difficult for me for some time always to meet quickly the wishes of my
learned friends. Thus some time had passed, as happened recently, before I was able
to supply the fragrant
resin, so rich in benzoic acid, to your esteemed brother in Erlangen,
as the small tree is not found in the vicinity of our capital city.
Now recovering, I hope to be more prompt in future, and our mutual friend, Dr Sonder,
will, I am sure, attend to the forwarding from Hamburg with his usual willingness.
With this opportunity I shall also have the honour to place before you the volumes
of the Fragmenta phytographiae Australiae as well as the continuation of my work on
the plants of Victoria.
During my brief stay in Brazil
I collected assiduously in the Organ Mountains; but after my emigration to South
Australia I lost this part of my collections through a fire in a storeroom. Among
the collections was
from the bay of Rio de Janeiro. I recognised it with certainty as identical with
the species I had observed in Germany and Denmark, and which the Scandinavians now
call
after the specimens of Linnaeus. It is better distinguished from
by its very long spiral fruit stalks
and the large anthers, than by the characters given by Koch,
that is, if I correctly identified it with the plant that is frequent in Schleswig-Holstein
and characterized by sessile fruiting umbels. The Brazilian plant is somewhat distinctive
in its tubercular fruit.
A few days ago the President of the Philosophical Society of New Zealand, Dr phil.
Julius Haast, who, as Government geologist, has gained such great merit in the fields
of geography and the natural sciences of that beautiful island, asked me to introduce
him as a candidate for membership in the Imperial Carolino-Leopoldina Academy,
something I do with sincere willingness by commending this sound and amiable scientist
to your kindness, because I know the honour would go to a worthy and grateful man.
I do not want to close this letter without the remark, that my observations in the
field for now 22 years always enabled me to recognise the immutability of species
in nature. In Australia, where the transitions from glacier regions to tropical forests
and dry desert areas are here and there sudden, I was offered the opportunity to determine
the adjustment of plant species to climatic and geological conditions on many occasions,
and always the conviction was forced upon me, that nature created species, but that
the range of their forms was frequently misunderstood, and innumerable varieties were
accepted as species by even the most illustrious of describing botanists. From the
impossibility to circumscribe the limits of these inconstant entities arose the illusion,
once more resurrected in recent times, of the mutability of species. Yet, these never
change, — I feel it, — the forms that were imposed on them on the day of creation,
and under the eternal laws of nature these will remain unaltered until our epoch of
creation ends. It is different with the limitation of genera and orders, which are
the result of the individual views of the observer and are not founded on nature.
About these, therefore, our opinions will quarrel endlessly, but about the first they
should not, once the range of forms of all species has been determined at some future
time.
May Providence long protect you and preserve you to science and to your admirers,
venerable Sir!
Respectfully your
Ferd. Mueller.
Privy Councillor and President
Professor Dr von Martius, Munich.