Melbourne, 31/1/93.
In Anerkennung Ihres Schreibens vom 22/12/92, hochgeehrter Herr Professor, spreche
ich Ihnen meinen Dank aus für die Ankündigung eines neuen Beitrags von getrockneten
Pflanzen zu den Sammlungen meiner Anstalt, wodurch ich allerdings noch weiter in Schuld
gerathe bezüglich Ihres Museums, was um so bedrückender für mich ist, als meine Mittel
für Austausch seit längerer Zeit so sehr beschränkt sind.
Schon in einem früheren Briefe setzte ich Ihnen die jetzigen Verhältnisse meines Departements
auseinander; will aber noch einmal jetzt darauf zurückkommen. Selbst aus den täglichen
Zeitungen wird Ihnen die Finanzlage der Colonie Victoria während der letzten 2 oder
3 Jahre bekannt geworden sein, u. diese unglücklichen Verhältnisse haben namentlich
seit dem Beginn des Jahres 1892 grosse Beschränkungen auch in meiner Anstalt herbeigeführt.
Mein Haupt-Augenmerk in einer jungen winterlosen Colonie muss selbstverständlich bei
den hiesigen Erfordernissen den ruralen Interessen gewidmet sein; in der That phytographische
Arbeiten sind fast Nebensache. — So habe ich denn seit sehr langer Zeit keinen Sammler
mehr im Felde, u. was ich durch Amateure erlange, sind meistens nur einzelne Stücke,
oft nur Fragmente. Ich selbst habe nicht mehr Zeit für Sammel-Reisen so spät im Leben
nach 46 jährigem ununterbrochenen Hiersein.
Die überzähligen Exemplare im Herbarium sind in fast allen Fällen längst erschöpft,
und was noch etwa da ist zum Weggeben, harrt mühesamer zeitnehmender Benennung. Wenn
ich nun auch in Ausnahmsfällen, wie bei den Dilleniaceen, an das normale Hauptherbarium
gehen lasse, um für einer speciellen Monographen etwas abzunehmen, so finde ich, dass
die typischen Exemplare, welche durch Jahrhunderte die Belege zu meinen phytographischen
Werken sein sollen, mutiliert werden, oder dass der Kreis der Formen für Varietäten
oder Localitäten gebrochen wird. Die Befolgung eines solchen gewissermassen plündernden
Prinzips müsste selbstverständlich zur Entwerthung des ganzen "Main-Herbarium" führen!
Dann fehlt mir die für extensive Durchsicht u methodische Aufsuchung von noch etwaigen
Doubletten die nothwendige Hülfe, denn meine eigne Zeit ist so besetzt, dass ich nie
Ferien nehmen kann u selbst auch jeden Sonntag u Festtag durch lange Stunden durcharbeite,
was bei meinem vorgerückten Alter, bei einer jährlich etwa 3000 Briefe erfordernden
eigenhändigen
Correspondenz und bei anderen vielseitigen Amtspflichten stets recht angreifend für
mich ist.
Sie machen
mir
den Vorwurf, dass in Ihrem bot. Museum die Pflanzen-Arten gesammt Australiens so
unvollständig vertreten sind. Ich bin aber mit manchen anderen auch Deutschen u auch
hohen bot. Wissenschafts Anstalten ebenfalls im Austausch-Verkehr, leider auch hier
u. da verschuldet jetzt und ich bin doch überzeugt, dass eine sehr bedeutende Anzahl
australischer u oft seltner Species durch mich im Lauf der Jahre zu Ihrer Anstalt
gelangte, kann insoweit aber keiner Vollständigkeit anstreben bei einer Vegetation,
die reicher wie die von ganz Europa ist! —
Mein Ehrgefühl hat mir stets angewiesen, Jedem im Leben gerecht zu werden, u. wenn
ich mich bedrängt sah in meinen wissenschftl. Obliegenheiten aus Mangel an Mitteln,
trotztdessen dass ich nie speculirte, auf Familien Leben u gesellige Erfreuungen verzichtete,
u das letzte was ich von Privat Vermögen hatte, aufgeopfert habe, selbst ohne Reservation
meiner 1839 begonnenen Privatsammlungen u Bibliothek, so habe ich versucht doch ein
"quid pro quo" zu liefern; — sei es durch Senden meiner Werke, sei es durch grosse
Massen unpräparirter Algen, sei es durch Senden von solchen kostbaren höchst seltenen
Prachtstücken wie Riesen-Todeen frei abgeliefert dort, auch in Kiel,
, Sämeraien &c. Es ist ja durchaus nicht nöthig, dass für erhaltene Herbarien auch
als Gegengabe
Herbarien
gesandt werden müssen; u. bisher ist Jeder damit zufrieden gewesen, wenn ich etwas
anderes als Gegengabe wählte oder wählen musste.
Kaufbar sind getrocknete Pflanzen auch für mich hier nicht, einfach aus dem Grunde,
weil in diesen Colonien bei dem theueren Leben u theueren Reisen es Niemand bezahlbar
finden würde, käufliche Pflanzen-Sammlungen herzustellen, zumal da die weite Übersendung
auch die Kosten noch sehr vermehren würde. In letztere Beziehung habe ich seit einiger
Zeit in meinem Verkehr mit allen Theilen der Erde die Methode gewählt, durch die
Post
eine Anzahl
kleiner Packete
zu senden, was freilich hier jedes auf ½ lb beschränkt. Es ist die einfachste, schnellste,
sicherste u billigste Art des Sendens
von hier
, u sie hat von noch den Vortheil, dass selbst wenn auch nur wenig zur Hand ist, ich
es sofort verschicken kann. So habe ich denn nun für Sie 9 kleine Päckchen packen
u auf die Post geben lassen, was freilich nur etwa 180 Arten repräsentirt. Sie werden
gewiss den guten Willen anerkennen. Es soll mehr folgen, so wie mehr zu
haben
ist! Da dies aber meistens von Umständen abhängt in Bezug auf jährliches Amateur-Sammeln,
bitte ich Sie nun ganz besonders,
weiteres Senden hierher von dort einstweilen einzustellen, bis Sie selbst finden,
dass Sie für das von mir Erhaltene ein vollständiges Äquivalent haben
; sonst würden Sie meine Ängstlichkeit noch mehr vergrössern in Bezug auf meine Verpflichtungen
zu Ihnen.
Bedenken Sie auch, da Sie selbst eine so bedeutende Staats-Stellung einnehmen, dass
ich seit 1847 naturalisirter Unterthan der englischen Krone bin, und dass es von mir
erwartet wird, immer in erster Instanz das grosse brittische National Etablissement
von Kew zu versorgen, u dass das brittische Museum auch auf mich Anspruch macht officiell.
Ich denke, dass diese erneuete Exposition meinen Standpunkt auch bei Ihnen nur ganz
klar machen wird, u Sie werden meine Offenheit gewiss ehrenhaft finden. Jedenfalls
würde ich es sehr bedauern, wenn das freundliche Verhältniss zu dem ersten Sitz der
Pflanzenkunde in der Hauptstadt Deutschlands nicht ein ebenso befriedigendes bliebe,
als es so lange mit Al. Braun, Eichler u Ihnen selbst gewesen ist!
In grösster Hochachtung Ihr
Ergebenster
Ferd. von Mueller
Hoffentlich ist Ihre Reise nach Spanien für Sie eine genussreiche u lehrende gewesen.
In den dortigen Anmerkungen des "Census" war offenbar die Transposition zu anderen
Generibus häufiger dort vorhandener Arten missverstanden.
Melbourne, 31/1/93.
In acknowledgement of your letter of 22/12/92,
highly esteemed Professor, I express my thanks to you for the notification of a new
contribution of dried plants to the collections of my institute, though through it
I fall even further into debt in respect of your museum, which is so much the more
depressing for me as for a long time my means for exchange have been so very limited.
Already in a previous letter I explained the present circumstances of my department
to you, but will again now revert to it. Even from the daily newspapers the financial
situation of the Colony of Victoria during the last 2 or 3 years will have been known
to you, and these unfortunate circumstances have caused large reductions in my institute
as well, particularly since the beginning of 1892. My special attention in a young
winterless colony in the present exigency must of course be devoted to the rural interests,
in fact phytological work is almost a secondary consideration. — So for a long time
then I have no longer had a collector in the field, and what I get through amateurs
are mostly only single pieces, often only fragments. I have no more time myself for
collecting expeditions so late in life, after an uninterrupted presence of 46 years.
The surplus specimens in the herbarium in almost all cases are long ago exhausted,
and what is still there by any chance to give away awaits laborious, time-consuming
naming. Even if now in exceptional cases, as in the case of the
, I go to the normal main herbarium to take something away for one of the special
monographers, I find that the typical examples which are to be the record of my phytographical
work for centuries are mutilated or that the range of forms for varieties or localities
is broken.
The consequence of such a to some degree plundering principle must of course lead
to the debasement of the whole "main herbarium"! Then I lack the necessary assistance
for extensive inspection and methodical search for any possible duplicates, because
my own time is so occupied that I can never take holidays and also even work through
long hours through every Sunday and holiday, which at my advanced age, with an annual
correspondence requiring about 3000 letters
from my own hand
and with other manifold official duties is always very exhausting for me.
You blame
me
that the plant species of the whole of Australia are so incompletely represented
in your bot. Museum. But I also have exchange dealings with many other German and
also great bot. scientific institutions as well, but also unfortunately here and there
now indebted; and yet I am convinced that a very significant number of Australian
and often rare species reached your institution through me in the course of time,
but in this respect cannot aim at completeness in the case of a vegetation that is
richer than that of the whole of Europe! —
My sense of honour has always directed me to do justice to everyone in life, and if
I saw myself pressed in my scientific obligations from lack of means, even though
I never speculate, deny myself family life and social pleasures, and have sacrificed
the last of what I had of my private means, even without reservation my private collections
and library begun in 1839, I have nevertheless tried to give a "quid pro quo"; be
it through sending my works, be it through large masses of unprepared algae, be it
through the sending of such valuable, very rare splendid pieces as giant
s delivered free there, even in Kiel,
, seeds &c. It is certainly not at all necessary that for receiving herbaria,
herbaria
must be sent as a return present as well; and previously everyone has been satisfied
with it, if I chose or had to choose something else as a return gift.
Here it is not possible even for me to purchase dried plants, simply because in these
colonies with the expensive living and expensive travel no-one would find it payable
to make plant collections for sale, especially since the far shipment would also increase
the costs even more. In regard to the latter, I have for some time in my dealings
with all parts of the world chosen the method of sending a number of
small parcels
through the
post
, which admittedly are restricted to ½ lb here. It is the simplest, quickest, safest
and cheapest way of dispatch
from here
, and it has the advantage that even if only little is available, I can send it off
immediately. So I have then had packed 9 small parcels for you now and will have them
given to the post, which of course only represents about 180 species. You will certainly
acknowledge my good intention. More will follow, as soon as more is to be
had
! But since this mostly depends on circumstances respecting annual amateur collecting,
I ask you now quite particularly,
to discontinue further shipments from there to here until even you find that you have
a complete equivalent for that received by me
; otherwise you would increase my anxiety even more in respect of my obligations to
you.
Also consider, since you occupy such a significant state position yourself, that I
have been a naturalized subject of the English Crown since 1847 and that I am expected
in the first instance always to supply the great British national establishment at
Kew, and that the British Museum also makes demands on me officially.
I think that this renewed exposition will just make clear my standpoint even in your
case and you will find my frankness certainly honest. In any case I would regret it
very much if the friendly relation to the first seat of plant study in the capital
of Germany did not remain just as satisfactory as it has been for so long with Al.
Braun, Eichler and you yourself!
With greatest respect your
most humble
Ferd. von Mueller
I hope your journey to Spain has been a very enjoyable and instructive one for you.
In the annotations to the Census made there, obviously the transposition to other genera of species commonly existing
there is misunderstood.