12/11/81
Es ist schon nach Mitternacht, lieber Herr Tepper, und ich bin recht müde, aber ich
will doch einen langen Brief beginnen.
Zunächst Wurmbea (oder
), wozu Anguillaria als Section gehört. Drei Formen sind in
Ihren
Colonie zu unterscheiden, welche RBr. specifisch hielt. 1. Die gewöhnliche W.(A) dioica mit meistens
aber nicht immer eingeschlechtigen Blüten; 2. die seltenen A. uniflora mit 1-2 Blüthen
meistens bisexual; 3. die A. biglandulosa mit meist mehreren bisexualen Blüthen und
mehr glandulöser Querbinde der Sepalen; letztere ist bei Ihnen die Hauptform im Norden;
ich sah sie 1851 am Flinders's Range, Elder's Range &c. Wenn man aber das Material
aus andern Colonien zusammenbringt, so laufen diese Formen in einander über; je nach
den kälteren oder wärmeren, trockneren oder feuchteren Gründen ändert sich auch die
Florzeit. Zuerst hielt ich an den 3 vermeintlichen Arten fest, nachher gab ich solche
auf, u. Sir Jos. Hooker u Mr Bentham sind mir darin gefolgt in Bezug auf Anguillaria.
Lassen Sie dies u
als Beispiel dienen, dass man die Formengrenzen nicht specifisch nach Beobachtungen
in einer Colonie bestimmen. Was Sie sehen, sah ich vor 30 Jahren u damals theilte
ich nach begrenzten Materialien auch Ihre Ansicht über den Artenbegriff. Wieder u
Wieder untersuchte ich dann im Lauf der Jahre anderswo dieselben u ähnliche Formen,
und kam schliesslich zu andern Ansichten. Sie werden sich um so schwerer an den Gedanken
grosser Veränderlichkeit der Pflanzen Arten gewöhnen können, als Sie so viel leichter
die Unterschiede der Species in der Entomologie feststellen können. Bedenken Sie aber,
dass das Thierleben sich
ungebunden
bewegt, dass jedes Thier sich unbehindert die Bedingungen zu seinem besten Bestehen
aufsuchen kann; wie anders ist es im Pflanzenleben; die Pflanze ist an den Boden gefesselt;
sie kann nicht fort; sie muss sich viel grösseren Verschiedenheiten von Einflüssen
fügen als das Thier! Sie accommodirt sich zu veränderlichen mineralischen Nahrstoffen,
verschiedenen Temperaturen, Feuchtigkeitsgraden u. s.w.
Es ist also nicht wunderbar dass Pflanzen sehr veränderlich sind; es ware dagegen
miraculös wenn solche es
nicht
wären! Wenn ich also als Graukopf mit geschwächten Augenlicht nicht immer in Erörterungen
eingehe über Formen, die Ihnen specifisch erscheinen, mir aber Varietäten sind, so
müssen Sie dies in unserer weiteren Correspondenz nicht als Mangel von Aufmerksamkeit
betrachten. Wenn sich erst Varietäten gebildet haben (wie auch bei Hausthieren), so
können solche abgeänderte Pflanzen in deren Verbreitung neben anderen Varietäten sich
hinstellen, aber nicht unter dem Begriff selbständiger Arten. Wenn Sie einmal Gelegeneit
haben, könnten Sie vielleicht diese Ideen von mir als erklärend über meine Auffassung
Ihrer kritischen Pflanzen in einer einschlagenden Abhandlung nebenher berucksichtigen.
Ehe ich aber dies Thema verlasse, rathe ich Ihnen sorgsam die
reifen
Samen der Wurmbseen zu vergleichen; vielleicht zeigen sich dabei Unterschiede, die
früher übersehen sind.
Sie haben jetzt Euc viminalis um sich, so dass Sie vielleicht bestätigen können, ob
ich richtig als Ursache der Melitosen-Manna das kleine gefleckte beflügelte Insekt
ansehe, das in Massen unter die Rinde dieser Eucalypten sich birgt. Mir will der Name
dieses niedlichen Thierchens eben nicht in das Gedächtniss kommen.
In der nächsten Woche werde ich noch einige Ihrer u Pastor Kempe's Pflanzen benennen,
die ich für kritische Vergleichen zurucklegte.
Mit bestem Grusse
Ferd. von Mueller,
Besten Dank für die
Früchte; Sie werden wohl Mühe u Ausgabe genug davon gehabt haben.
12/11/81
It is already after midnight, dear Mr Tepper, and I am very tired, but I'll still
begin a long letter.
First of all Wurmbea (or
)
, to which Anguillaria belongs as a Section. Three forms are to be distinguished in
your
Colony, which RBr regarded as specific. 1. The common W.(A.) dioica with mostly, but not always, unisexual flowers; 2. the rare A. uniflora with 1-2 flowers mostly bisexual; 3. the A. biglandulosa with mostly several bisexual flowers and more glandulous transverse ties of the sepals;
the latter is the main form in your north. I saw it in 1851 in the Flinders Ranges,
Elders Ranges &c. However, if you bring together material from other colonies, these
forms run into one another, the flowering time also changes each according to the
colder or warmer, drier or moister ground. At first I held to the three probable species,
subsequently I abandoned such and Sir Jos. Hooker and Mr Bentham have followed me
in this in reference to Anguillaria.
Allow the former and
to serve as examples, that you determine the form boundaries not specifically according
to observations in one colony. What you see, I saw 30 years ago and at that time I
also shared your opinion about the species concept. Again and again I investigated,
then in the course of time elsewhere the same and similar forms, and came at last
to other views. You will be able to grow accustomed to the idea of great variability
of plant species with greater difficulty as you can determine the differences of species
in entomology so much more easily. But consider that animal life moves
freely
, that every animal can seek unimpeded the conditions for its best existence. How
different it is in plant life. The plant is fettered to the ground. It cannot go away.
It must adapt to much greater diversity of influences than the animal! They accommodate
to variability of mineral nutrients, different temperatures, grades of moisture and
so on.
It is therefore
not
surprising that plants are very variable; on the contrary it would be miraculous
if it were
not
so! Therefore if I as a grey-haired man with weakened eyesight do not always enter
into debate about forms that appear specific to you, but are varieties to me, you
must not regard this as want of attention in our wider correspondence. If varieties
have just formed (as also in domestic animals), such modified plants can stand in
their distribution near other varieties, but not under the concept of separate species.
If you have opportunity at some time, you could perhaps take these ideas from me into
consideration as explaining my interpretation of your critical plants incidentally
in a referring monograph. However, before I leave this theme, I advise you to carefully
compare the
ripe
seeds of the
e; perhaps they will show differences that were previously overlooked.
You now have
around you, so that perhaps you can confirm whether I correctly regard the small
spotted winged insect that conceals itself in masses under the bark of these eucalypts
as cause of the melitosa manna. The name of this pretty little creature will just
not come to me.
In the next week I shall name some more of your and Pastor Kempe's plants, which I
laid aside for critical comparison.
With best greetings
Ferd. von Mueller.
Best thanks for the
fruits; you will probably have had trouble and expense enough for them.