Melbourne, im bot. Garten,
am 22. Mai 1868.
Es ist stets ein freudiger Tag für mich, edler Herr, wenn ich einen Brief aus Ihrer
Hand begrüsse. So war es wieder in letzter Woche. Sie überschütten mich mit soviel
Güte, dass ich Ihnen nicht genug danken kann. Und doch habe ich so wenig für Sie gethan!
—
Endlich nach dem ich meinen Theil zu der Arbeit von Bentham's 4ten Band geliefert,
war es mir möglich die Palmen zu ordnen u. nebst einem Packet Pflanzen von Nord-Ost-Australien
an Sie abzusenden, was nun kürzlich in dem Schiffe Essex geschehen ist. Dr Sonder
wird mit gewohnter Güte die Weitersendung vermitteln. Da nun die nothwendigsten Arbeiten
beseitigt sind, welche sich während meiner Krankheit anhäuften, werde ich auf diesen
kleinen Beitrag andere folgen lassen, um Ihnen die Gestalten der Pflanzenwelt Australiens
nach u nach weiter vorzuführen. Von den Palmen erhalten Sie
meine ganze Originalsammlung
zum Darlehn, u es macht mir eine besondere Freude, dem grossen Kenner dieser fürstlichen
Pflanzen das geringe Material vorlegen zu können, was die in dieser Beziehung offenbar
arme Flora Australiens bisher geliefert hat. Es sind indessen doch 17 Arten (soweit
ich urtheile) was immerhin die von R. Br. exponirten Palmen vervierfacht. Unglücklicherweise
sind mir diese Gewächse nur unter den ungünstigsten Verhältnissen zugänglich gewesen,
was das Mangelhafte der Exemplare entschuldigen muss. Ich fürchte, Sie, hoher Freund,
werden das dürftige Material keiner genauern Durchschau werth halten. Sollte dies
aber dennoch der Fall sein, dann gewinnen wir für den 6ten Band der Flora Australiens
einen classischen ewig denkwürdigen Beitrag. Ich bitte Sie irgend ein Exemplar, welches
es auch immer sei, für Ihre eigne Palmen Sammlung zurück zu behalten, den Rest aber
Bentham durch Dr Sonder zustellen zu wollen im Jahr 1868, da Bentham in allen Fällen
mein Original-Material mit R Br's u Hookers Sammlungen zu vergleichen wünscht. Soweit
ich urtheile finden Sie
3,
1, Livistonia 4,
3,
1, Areca 1. Die 4 übrigen sind von mir nicht generisch erkannt.
hat prächtig rothe Früchte mit fleischigem Pericarp u erstreckt sich wenigstens bis
nach Wide-Bay.
Meinen eilig im vorigen Monat geschriebenen Brief werden Sie, verehrter Herr, wohl
erlangt haben. In Ihren Briefen spricht sich stets eine solche rührende u von mir
nur wenig verdiente Theilnahme aus, dass ich oft gewünscht habe, Ihre häuslichen Verhältnisse
belauschen zu können, um zu wissen, wie ein grosser Weiser dieses Zeitalters die herrlichen
Abendstunden eines ruhmreichen Lebens verlebt. Gewiss umringen Sie liebliche Enkel
mit fröhlich unschuldigen Gesichtern und rufen die rosigen Tage der eignen Jugend
in die Erinnerung zurück!
Mich jagen die Verhältnisse in dem unruhigen Lande, in welchem das Eine immer das
Andere überstürmt recht unstet umher. Ich fühle es dass ich, um meine Arbeiten später
einer Vollendung entgegen zu führen, den Welttheil noch mehrfach zu durchkreuzen habe,
u ich hätte wohl schon wieder im Felde gestanden, zwänge mich nicht der Fortgang des
Werkes Bentham's meinen Verpflichtungen als Mitarbeiter oder vielmehr Hülfsarbeiter
ehrenhaft nachzukommen. Eigentlich bin ich ein wenig unzufrieden, dass unser berühmter
Freund die Arbeit so gar arg vorwärts drängt, u. ich hätte es lieber gesehen, dass
seine unvergleichlich grosse Erfahrung als Phytograph dem Werke über die
Gattungen
mehr ausgedehnt zugewandt wäre. Bentham lebt in der glücklichen Unabhängigkeit des
Reichthums u des Privatlebens, u so wird es mir, der im Amte um Broterwerb bekümmert
den grössten Theil der Zeit andern Pflichten als literarischen opfern muss, schwer
dem Präsidenten der Linné-Gesellschaft vorarbeitend voranzueilen, zumal da ich doch
der Medicin u Geographie nicht ganz abhold werden darf.
So sind denn auch meine Pläne für weitere ausgedehnte Reisen vereitelt, u ich möchte
[nicht]
zu sehr die Elasticität der Jugend hinschwinden sehen, um viel später noch grössere
Entdeckungsreisen durchzuführen. Ihre rastlose Thätigkeit als Nestor der Phytologen
setzt uns Alle in die tiefste Bewunderung! Wäre ich in Europa würde ich mir das Privilegium
erbitten einen Theil der Flora Brasiliana schreiben zu dürfen.
Darwin hat mir seine beiden neuen Bände "Variation of Animals & plants under Domestication"
eben zugesandt. Die Beobachtungen, soweit ich flüchtig bisher gesehen, sind gewiss
glänzend, aber die Schlüsse, welche der vortreffliche Mann daraus zieht jedenfalls
oft bestreitbar! Mit allen Erfolgen in der Ziehung und Veredlung der Racen wird es
ihm nimmer gelingen die Arten als Glieder einer Kette ununterbrochen zusammenzufügen,
noch den Didus ineptus &c in die Reihen belebter Formen durch Brütungsprocesse zurück
zu rufen, was doch eine practische Probe wäre, aber gewiss eine ebenso vergebliche
als die Versuche der Alchymisten einen Stein der Weisen oder eine Quint-Essenz zu
finden.
Die letzte Post brachte mir die formale Trauerbotschaft von dem Dahinscheiden des
grossen Sir David Brewster in einer Mittheilung seines Schwiegersohnes. Er verschied
im Trost des christlichen Glaubens, würdig eines Weisen, der wie Newton inmitten grosser
Entdeckungen sich zu der Erkenntniss erhoben sah "More worlds than one". —
Sie haben so viel Schätze bereits vor mir hingestreut, dass ich zage, noch irgend
etwas, wie Sie es wünschen, zu fordern. Aber dies möchte ich doch erbitten, den Band
Ihrer plastisch schönen u poetisch-genussreichen Reden, gehalten vor der Akademie.
Mir stehen diese von wissenschaftlichem Geiste ausströmenden Worte viel höher als
die gehaltlosen Poesien vieler gefeierter Dichter.
Ihre[m] Wunsch, die schnell wachsenden Bäume Australiens, namentlich die Eucalypten,
Casuarinen u Acacien in die wasserleeren Gegenden Brasiliens einzuführen, würde ich
aufs Bereitwilligste entsprechen, wenn sich dieser hochherzige Wunsch auf eine solide
Basis des Operirens hinführen liesse. Wie wäre es, wenn sich der Gesandte Brasiliens
mit den Ministern des Kaisers beräthe, um Massregeln zu treffen, dass die Aussaat
verwirklicht u geschützt würde. Ich habe Natal, [...]
dem indisch Hochland, Jerusalem, der Wüste der Atacama, den Plata-Ebenen die Gelegenheit
zur weiteren Verbreitung jener Bäume gegeben, u. der Kaiser Frankreichs ist so sehr
von der Wichtigkeit der durch mich in Algier sehr unterstützten Baumcultur überzeugt,
dass S. Maj. mich auffordern liess, meine Ideen in einem directen Schreiben an den
Kaiser auseinander zu setzen. Nun wieder mit dieser Post ruft ein hervorstehender
Mann meine Hülfe für die Prärien von Kansas an, u der Graf Maillard de Marafy wünscht
dieselbe Hülfe im Interesse der Regierung Ägyptens.
Ich vergass leider, die für Sie bestimmte Charte Australiens den andern abgesandten
Gegenständen beizufügen; sie soll schon folgen. Die schönste aller Karten Australiens
ist aber das liebliche zwar kleiner aber genaue u vollständige Blatt des ausgezeichneten
Prof Petermann.
Wenn immer sich wieder einige Flechten anfinden, sollen solche Herrn v Krempelhuber
zugesandt werden. Ihres Wunsches für ornithologische Beiträge zu dem akadem Museum
werde ich eingedenk bleiben.
Mit dem innigsten Wunsche für Ihr Wohlergehen Ihr Sie Ehrender treuer
Ferd. v. Mueller
Dr. Neumayers letztes ausgezeichnetes Werk liegt vor mir. Es ist eine Pracht-Arbeit!
—
Auch einige Algen habe ich gesandt ebenso etwa 90 Arten Flechten, freilich nicht immer
in guten Exemplaren.
Die Witwe des Dr Bayer wird Sie in München aufsuchen.
Melbourne Botanic Garden,
22 May 1868.
It is always a joyful day for me, noble Sir, when I receive a letter from your hand.
Thus it was again last week.
You overwhelm me with so much kindness, that I can not thank you enough. And yet
I have done so little for you!
At long last, after I had dispatched my share of the work for Bentham's 4th volume,
it became possible for me to sort the palms and send them to you, as well as a parcel
of plants from North-East Australia, as has recently been done by the ship Essex. Dr Sonder will facilitate the further transmission with his usual kindness. As the
most necessary labours, which had accumulated during my illness, have now been dealt
with, I shall let others follow this small contribution, to demonstrate to you in
the course of time the forms of the Australian vegetation. You receive
my complete original collection
of palms on loan, and it gives me particular pleasure to be able to place the little
material, that the in this respect evidently poor flora of Australia has displayed
so far, before the great expert on these princely plants. None the less, there are
17 species (as far as I can judge), and that, after all, quadruples the number of
palms expounded by R. Br. Unfortunately these plants were accessible to me only under
the most unfavourable conditions, and that must excuse the inadequacies of the specimens.
I fear that you, exalted friend, will not consider the poor material worth a close
examination. However, should you do so none the less, we should gain a classic, eternally
memorable contribution for the 6th volume of the Flora of Australia.
I beg you, to retain any one specimen, which ever it may be, for your own palm collection,
but send the rest through Dr Sonder to Bentham during 1868, as Bentham in any case
wishes to compare my original material with that of R Br's and Hooker's collections.
As far as I can judge, you will find
3,
1,
4,
3,
1, Areca 1. I did not recognise the genera of the four remaining ones.
has magnificent red fruit with a fleshy pericarp and extends at least as far as Wide
Bay.
You will probably have received my hastily written letter of last month, noble Sir.
Your letters always express such a touching interest hardly deserved by me, that
I have often wished I could eavesdrop on your domestic life to learn, how such a great
wise man of our own epoch spends the wonderful evening of a glorious life. Surely
you are surrounded by lovely grandchildren with happy innocent faces and recall the
memories of the rosy days of your own youth!
Circumstances are driving me restlessly in this turbulent country, where one thing
always precipitates another. I feel that, to lead my labours to some conclusion later
on, I shall have to cross this continent several times, and I would have been back
in the field already, if the continuation of Bentham's work
did not force me to meet my obligations honourably as co-worker or rather assistant.
To tell the truth, I am a little dissatisfied, that our famous friend pushes the
work along quite so hard. I should have preferred, had he extended his incomparable,
great experience as a phytographer more on the work on the
Genera
.
Bentham lives in the fortunate independence of prosperity and as an independent scholar,
and thus it becomes difficult for me as someone who, concerned with earning his bread
in employment, has to sacrifice the major part of his time to duties other than literary
work, to rush ahead of the President of the Linnean Society with the preparatory work,
especially as I do not want to turn my back completely on medicine and geography.
Thus my plans for further extended travels are thwarted, and I am too much aware of
the elasticity of youth dwindling away for me still to carry out larger exploration
expeditions much later. Your restless activities as the nestor of phytologists fills
us all with the deepest admiration. Were I in Europe, I should request the privilege
to write a part of the Flora brasiliana.
Darwin has just sent me his two new volumes Variation of animals & plants under domestication.
The observations, as far as I could tell from a fleeting glance, are admittedly brilliant,
but the conclusions drawn from them by the excellent gentleman certainly often disputable!
With all his successes in the breeding and improvement of the races he will never
succeed in joining together the species as links in an unbroken chain, nor in achieving
a throw-back to the Didus ineptus etc. in the series of living forms by breeding processes, which would be a practical
test, but surely just as useless as the attempts of the alchemists to find a stone
of wisdom or a quintessence.
The last mail brought me in a communication from his son-in-law officially the sad
news of the passing away of the great Sir David Brewster.
He died in the solace of the Christian faith, worthy of a wise man who, like Newton,
came in the midst of great discoveries to the recognition 'More worlds than one'.
You have already heaped so many treasures on me, that I hesitate to do as you suggest
and ask for more. But there is one thing I should like to request: the volume of your
beautifully structured and poetically enjoyable speeches given before the Academy.
I place these words full of scientific spirit much higher than the empty poems of
many celebrated poets.
I shall be happy, to carry out your desire to introduce the fast growing Australian
trees, especially the eucalypts, casuarinas, and acacias, into the waterless areas
of Brazil, if this high-minded wish can be put on a solid basis of operation. How
would it be, if the ambassador of Brazil took council with the Minister of the Emperor
to take measures to make the sowing a reality and protect it. I have given the opportunity
for a greater distribution of those trees to Natal, the Indian highlands, Jerusalem,
the Atacama desert and the Plata
plains, and the French Emperor
is so convinced of the importance of the tree cultivation in Algier, which I am greatly
supporting, that His Majesty requested me to expound my ideas in a direct letter to
the Emperor.
Even just with this mail an eminent gentleman requests my help for the prairies of
Kansas, and Count Maillard de Marafy desires the same assistance in the interests
of the Egyptian Government.
Unfortunately I forgot to enclose the map of Australia for you with the other materials,
but it will follow soon. The most beautiful of all the maps of Australia is the lovely
sheet, though smaller, but accurate, from the excellent Professor Petermann.
Whenever lichens are found, they shall be sent to Mr von Krempelhuber. I shall keep
in mind your wish for ornithological contributions for the Museum of the Academy.
With my sincerest wishes for your welfare
respectfully
your faithful
Ferd. von Mueller.
Dr Neumayer's latest excellent work is before me. It is a fine work!
I have also sent a few algae, further about 90 species of lichens, though admittedly
not always good specimens.
The widow of Dr Bayer will visit you in Munich.