Queenscliff, 27/8/67.
Heute, edler Gönner und Freund, bringt Ihnen mein Brief gleichzeitig mit anderen eine
herbe Trauerbotschaft. Ihr berühmter, jüngst noch lebenskräftiger, gütiger Neffe,
Dr. F. Bayer lebt nicht mehr! Sein Hinscheiden ist ein Verlust gleich unersetzlich
einem weiten Kreise von Freunden, unberechnungsbar für die aufblühende Colonie, in
der dieser grosse Arzt fast zwanzig Jahr lang wirkte.
Mir
kam die plötzliche Todesnachricht nicht ganz unerwartet. Dr Bayer besuchte vor wenigen
Monaten Melbourne, und ein Blick auf das leidende Äussere genügte mir zur Überzeugung,
dass seine Lebensfrist, bliebe er im Zwang der ärztlichen Praxis, eine ganz kurze
sein müsse. Ich verhehlte ihm meine Ansicht nicht, und wurde in derselben nur bestärkt,
wie mir der Arme eine Reihe Symptome angab, die auf fast gänzlich erschöpfte Nervenkraft
hindeuteten. Ich beschwor ihn, seinem edlen Beruf nicht sein Leben zu opfern, und
bat scheidend seine Gemahlin, ihn wenigstens jedes Jahr für einen Monat Wald- oder
Bergreisen unternehmen zu lassen. Meine Furcht war aber nicht, dass er in den kühlen
erfrischenden Lüften unserer herrlichen Wintermonate hinsinken würde, aber mir bangte,
er würde den nächsten Sommer nicht durchleben in einer enormen rastlosen ärztlichen
Thätigkeit; und da der gute Mann mich wenige Wochen vor seinem Tode noch einlud in
seinem letzten Brief, seine Gastfreundlichkeit in Adelaide zu geniessen, so dachte
ich zeitig im Sommer hinüber zu gehen, und ihn in die Bergwälder und in die mit Farnbäumen
beschatteten Thäler Tasmaniens sich erholen zu lassen, wo ich ihm die Erholung durch
physikalische Demonstrationen noch vielleicht anziehender gemacht haben würde. Der
Mensch denkt, Gott lenkt! —
Unbezweifelbar war es Dr Bayer's Absicht so lange in der Praxis zu verharren, bis
sein jetzt studierender Sohn die grossen Arbeiten des Vaters jugendfrisch und unter
dessen Lenkung fortführen könne. Ich führte Dr Bayer bei seinem Hiersein im März bei
dem Gouverneur u dessen Gemahlin ein, aber war betrübt, dass er nicht die ländliche
Stille für Erholung gewählt. Wir können den Mann, den Freund, den Arzt nicht ersetzen.
Wie schade, dass er, der mit Glücksgütern reich gesegnet, der eine blühende Familie
heranwachsen sah, u der sich der Achtung u Liebe aller Colonisten bewusst war, nicht
in Ruhe einen langen Lebensabend durchleben konnte!
Ich selbst bin hierher geflüchtet, um aus den Wirren u. Gelärm des grossen Departements,
das ich schuf, herauszukommen für eine Weile, nachdem ich seit 1862 nicht einen Tag
fort gewesen. Mein Schlaf war dahin, so mein Begehr für Nahrung. Hier im Anblick des
majestätischen Oceans legt sich der Sturm des Gemüths, ich sammle mich für ruhigeres
Denken u sehe wieder mit neuen Hoffnungen, die schon erloschen, in die Zukunft.
Die Anguillarien, die durch die grünen Matten der Frühlingsfrische brechen, erinnern
mich an meine Kindheit, an die Schneeglöckchen unserer Wiesen. Die Boten der wiederkehrenden
Vegetation brechen hervor in grossblumigem Sonnenthau; und Cakile maritima hier im
Küstensande lässt mich glauben, ich wanderte wiederum an den sturmumtobten Küsten
Scandinaviens. Ich werde aber auch mit der Wiederkehr der Frühlingsblumen, die Schiller
so herrlich in seiner poetischen Allegorie besang, an dies gemahnt, dass ich ein Jahr
näher dem Ende meiner Lebensbahn gerückt, u für das Wirken dieses Jahres dem Lenker
der Welten Rechenschaft zu geben. Wie eitel ist uns mehr u mehr mit hineilenden Jahren
der Tand werthloser Vergnügungen.
Die Wahrheit von des befreundeten Owen's Worten wird auch hierüber mir mehr u mehr
klar. Der Rausch der Vergnügungen, die nicht wirkliche Erholungen sind weder für Geist
noch Körper, hat manchen schon frühzeitig hinsinken lassen. Wir müssen versuchen,
die Gedanken der grossen Menge mehr u mehr auf die Wunder der Natur zu lenken, ihr
grosses Gotteswalten im freien Anblick empfinden lassen. Innerhalb 16 deutscher Meilen
erhebt sich hier ein Alpenhang (Baw-Baw), den ich zuerst erstieg, untersuchte u triangulirte.
Ich will für Maulthiere einen Weg dahin durch die Bergwälder brechen lassen u ein
Brackenhaus dort zu bauen anrathen, wohin für
wahre
Erfrischung unsere Stadtbewohner eilen können, um dem Basaltstaube, der Hitze u den
Miasmen, ja und dann auch den Wirren der Stadt zu entgehen.
"Kennst du den Berg mit seinem Wolkensteg?, das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg.
Dahin! Dahin! möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!"
Jetzt, wo ich diesen Brief schliesse, wandle ich wieder eine Stunde an den Klippen
entlang. Ich nehme Samen der
, der schönsten von Allen, von
u.
zum Ausstreuen mit, um waldiges Grün an den schroffen Felsabhängen und den Sandwellen
mit Geschwindigkeit entstehen zu lassen! Der Kaiser Napoleon hat mir in einem eigenhändigen
Schreiben seinen Beifall ausgesprochen, auch in der Sahara diese dem Sirocco widerstehenden
Bäume, hervorzurufen.
Ich habe die so wunderbaren Casuarinen alle jüngst auf ihre wahren Grenzen zurückgeführt.
Es giebt davon in Australien 14; einige wie C. glauca wandern von der Ost zu Westküste.
Eine Zwergart von Westaustralien blüht massenhaft, wenn bloss 1½ Zoll hoch im ersten
Jahre schon!
Wenn ich nicht im Freien bin, arbeite ich hier für unsern genialen u unermüdlichen
Freund Bentham an Epacrideen. Seit R Br's Zeit sind die Arten an Zahl verdreifacht
u so die einstmaligen Gattungsmerkmale nicht mehr haltbar. Ich stelle das Genus
im weitern Sinne her,
bleibt mit
vereint,
u.
bleiben.
kommt zu
,
zu
&c. Sie werden bald meine Ansicht veröffentlicht finden. Den 5ten Band der Fragmenta,
der diesen Weg anbahnte, ist unlängst an Ihre ehrwürdige Akademie gesandt.
Meine Krankheit hat es verhindert eine Sendung an Sie zu vollenden. Es soll eine meiner
ersten Handlungen sein, nach der Rückkehr mein Versprechen zu lösen. Möge die Vorsehung
Sie in gnädigen Schutz nehmen u Sie noch lange zum Segen des Wissens erhalten.
Ferd. Mueller
Ich sammele für Agassiz die Frischwasserfische u habe ihm das Versprechen abgelockt,
eine Ichtologie Australiens zu liefern.
Ich habe Cinchona Condominea hier im Freien überwintert und nun gegen 10,000 Pflanzen.
Queenscliff, 27 August 1867.
Today, noble patron and friend, my letter brings you among other news also some harsh
and sad tidings. Your famous, kind nephew Dr F. Bayer, recently still full of vitality,
is no longer alive! His passing is a loss equally irreplaceable for a large circle
of friends, as it is incalculable for the flourishing Colony, where this great doctor
has been labouring for almost 20 years. To
me
the sudden news of his death did not come quite unexpected. Dr Bayer visited Melbourne
a few months ago, and one glance at his suffering appearance sufficed to convince
me that, were he to remain under the burden of his medical practice, the span of life
remaining to him would be but a very short one. I did not keep my views from him,
and was only confirmed in them, when the poor man described to me a number of his
symptoms, that indicated a totally exhausted nervous system. I implored him, not to
sacrifice his life to his noble profession and, when saying farewell, asked his wife
to at least make him undertake each year a month's journey into forests or mountains.
But my fear was not that he might die in the cool refreshing air of our glorious winter
months, but I feared he might not survive the next summer in his enormous restless
medical activity. As the good man invited me in his last letter
only a few weeks before his death to accept his hospitality in Adelaide, I intended
to go over there early in summer, and to get him into the mountain forests and the
shaded fern gullies of Tasmania to recover, where I might perhaps have made the recovery
more attractive by physical demonstrations. Man proposes, God disposes!
It was undoubtedly Dr Bayer's intention, to remain in his practice, until his son,
still studying, could have carried on his father's great work with youthful vigour
and under his guidance. During his visit here I introduced Dr Bayer to the Governor
and his wife, but was distressed, that he had not chosen rural tranquillity to recover.
We can not replace the man, the friend, or the doctor. What a shame that he, who was
so richly blessed with all the good things in life, who saw a radiant family grow
up, who enjoyed the respect and affection of all the colonists, could not live on
in peace through a long old age!
I myself have fled here, to get out for a while of the pressures and clamour of the
large Department that I created, after not having had a day's break since 1862. My
sleep was gone, as was my desire for food. Here, facing the majestic ocean, the storm
of the emotions quietens down, I can collect myself for calmer thoughts and once more
look to the future with hopes, that had already been extinguished, now once more renewed.
The Anguillaria breaking through the spring-fresh green meadows remind me of my childhood and the
snowdrops in our pastures. The heralds of the new vegetation break forth in large
flowered sundews, and the Cakile maritima in the coastal sands here make me think, that I am wandering once more on the storm-swept
coasts of Scandinavia. However, the return of the spring flowers, so wonderfully extolled
by Schiller in his poetic allegory,
also warns me, that I have come another year closer to the end of my life, and that
I shall have to give an account of this year to the Ruler of the universe. How vain
the tinsel of useless pleasures becomes for us increasingly with the fleeting years!
Here, too, I come to see more and more clearly the truth of my friend Owen's words.
The euphoria of pleasures, that are no real relaxation for either mind or body, has
sent many a man to an early grave. We must try to direct the minds of the masses more
and more to the wonders of nature, to experience the mighty works of God in her contemplation.
Sixteen German miles
from here rises an alpine elevation (the Baw-Baws); I was the first to climb it,
explore and triangulate it. I want to get a path for mules cleared to there through
the mountain forests, and to suggest a lodge be built there, where our city dweller
can hasten for
true
refreshment, to escape from the basalt dust, the heat, the miasma, and yes, also
the pressures of the city.
'Do you know the mountain with its cloudy pass?
The mule seeks its path through the fog.
There! There I want to go with you,
O my beloved!'
Now, when I close this letter, I am going to walk again for an hour along the cliffs.
I take seed of
, the most beautiful of them all, of
and Acacia mollissima along with me for sprinkling about, to create rapidly green forests along the steep
cliff slopes and sand dunes. The emperor Napoleon, in a letter in his own hand,
has expressed his approval of raising these sirocco-tolerant trees also in the Sahara.
I have recently reduced all these wonderful Casuarinas to their true limits. There
are 14 species in Australia; some, like C. glauca, extend from the East to the West coast. A dwarf species from Western Australia flowers
prolifically already in the first year, when only 1½ inches high!
When I am not outdoors, I work here on the Epacrids for our genial and tireless friend
Bentham. Since Robert Brown's time the number of species has tripled and as a result
the generic distinctions from then are no longer tenable.
I restore the genus Styphelia in its wider sense.
remains united with
,
and Oligarrhena remain. Andersonia is placed in
,
in
, etc. You will soon see my views published.
The 5th volume of the Fragmenta, which laid the ground work for this course, was recently sent to your Academy.
My illness has prevented me from completing a transmission to you. To make good this
promise will be one of my first actions on my return. May Providence graciously protect
you and keep you for a long time yet as a blessing to science.
Ferd. Mueller.
I collected freshwater fish for Agassiz and have wrung from him the promise to produce
an ichthyology for Australia.
I have wintered
out in the open here and now have about 10,000 plants.