Melbourne, im botan. Garten,
am 25. März 1864
Ehrwürdiger Herr!
Ihr liebevoller Brief v. 12 Januar hat mich mit tiefer Freude u Rührung erfüllt, mit
Freude weil ich mich an der noch jugendlichen Gluth Ihres Geistes erwärmen kann, mit
Rührung indem ich bemerke, dass Sie der geniale tiefsinnende weit umfassende Gelehrte
auf mich, der ich Ihr nepos sein könnte, so gütig hinabblicken. Ihre Worte über das
grosse Walten der Natur und die Gesetze, welche die Schöpfung der belebten Wesen lenken,
fanden in mir einen hellen Widerklang; u. es schlägt mir froh das Herz, wenn ich wahrnehme,
dass die gewichtige Erfahrung Ihres thatkräftigen Lebens von Seiten der reinen Naturphilosophie
die unvergänglichen Lehren der Theologie freisinnig in Bezug auf unsere Schöpfungsgeschichte
aufgefasst bewahrheiten. Welch´ ein unendlich mehr erhabenes Gefühl regt sich in dieser
Anschauung, als wenn wir den Trugschlüssen Darwins folgend das untrennbar Vollständige
u. Harmonische jedes belebten Naturkörpers nicht der göttlichen Allmacht sondern dem
Zufall (accident) entsprungen wähnen. O! wie tief sinkt der herab, der verkennt, dass
alle Formen der belebten Natur nach ewig unwandelbaren Gesetzen dem Cyclus ihrer Epoche
durchleben, geschaffen sind von der Weisheit des Höchsten um als selbstständige Wesen
ihren Zweck (their design) in dem grossen Naturleben zu erfüllen. Wir sehen es ja
stets, dass wir keinen der fast endlosen Organismen der belebten Natur, etwas Wesentliches
entziehen können ohne das schöne harmonisch vollendete Gebilde der Art zu zerstören.
Offenbar ist es jedoch, dass wir zu häufig den Formenkreis der Arten und ihre Beugsamkeit
zu Formen ändernden (aber nicht Species schaffenden) Verhältnissen verkannten.
Dann theile ich, edler Herr, ganz Ihre Ansicht über die locale Ausdehnung der grossen
Fluthen, u. bin mir keiner Bibelworte bewusst, welche eine solche Annahme verwerflich
machen. Ebenso pflichte ich auch Ihrer Meinung bei in Bezug auf das Alter des australischen
Welttheils. Wenigstens scheint es mir, soweit wir auf die Vorlagen der Palaeontologie
bauen dürfen, dass die lebende Natur Australiens manche Typen aufzuweisen hat, die
den Resten anderswo begrabener Organismen einer früheren Schöpfungs-Periode sich nähern,
obwohl solche Typen als verschieden von den unserigen nur bedingungsweise massgebend
für unsere Schlüsse sein können. Was Sie in Bezug auf die Formenreihen der von Ihnen
so trefflich beleuchteten Eriocauleen Brasiliens bemerken, scheint mir anzudeuten,
dass unter diesen Gattungsgenossen sich manche Mischlinge finden. Dies reisst aber
keineswegs die Schranke nieder zwischen den Arten, wie ich mich beim Eindringen in
den innern Bau dieser lieblichen Gewächse, soweit solche Australien angehören, überzeugte.
(conf. Fragm. phyt. Austr. I, 91-96.). Dasselbe gilt von den Reihen der Proteaceen,
Leguminosen, Myrtaceen,
Australiens, auf welche Sie speciell hinweisen. Die schaffende Natur drückte dem
Einzelwesen Ähnlichkeit und nur soweit Verwandtschaft auf, aber begabte die Arten
mit einem Bildungsvermögen, nach welchem sie sich oft den verschiedensten Einflüssen
anpassen, ja nach welchen sogar manche dem glacier clima sich ebensosehr als dem der
sengenden Wüste fügen. Aber aus diesen Einflüssen entspringen nie bleibende Formen,
und in demselben Grade wie die Dauer des Einflusses die abweichende Form befestigte,
bedarf es einer längern oder kürzern Rückwirkung ehe diese Formen zu den normalen
oder primitiven Ausdrucke zurückkehren.
Mir erscheint das bunte Formenreich der Natur einzig als ein Complex von Species,
in welchem jede Art eine vollständige unantastbare Unabhängigkeit behauptet, obgleich
Ähnlichkeiten nur immer gewisse Arten in Annäherung bringen. Ehrhart's Idee nur jeder
Art einen Namen zu geben ist streng genommen die einzig haltbare, aber mit ihrer Ausführung
würde man die wichtigen Anhaltspunkte verlieren, an die sich namentlich das Gedächtniss
lehnt, welche uns die künstliche und daher nie genau begrenzbare Aufstellung der Gattungen
gewährt. Nachdem ich zur Ausdehnung von etwa 30,000 engl. Meilen die Welt als Phytologe
durchzogen und wohl mehrere hundert Tausend Pflanzenindividuen zergliederte, hat sich
mir diese Überzeugung stets aufgedrängt, obwohl ich es mir bewusst bin, selbst nur
zu häufig aus mangelnder Kunde die Grenzen der Arten verkannt zu haben. Die einzigen
vermittelnden Formen, durch welche im Pflanzenreiche Arten zusammenfliessen sind Mischlinge,
die aber doch meistens unfruchtbar sind oder in den schwachen folgenden Generationen
erlöschen; u. hier ist selbst zu beachten, dass manche der vermeintlichen Mischlinge
nur die Übergänge von Varietäten, nicht aber von Arten darstellen.
Das isolirte Vorkommen von Pflanzen in Theilen der Erde entfernt von denen wo solche
häufig sind, sowie die weite Verbreitung mancher Species (z.B. gewisser Hülsenpflanze
durch die tropische Zone beider Hemisphären) ist, denke ich, oft dem Wirken der Zugvögel
zuzuschreiben, während vielleicht ein unnachweisbarer Zufall menschlicher Thätigkeit
die Verbreitung einzelner Arten in ferne Weltgegenden bedingt haben mag.
Ihre Ansicht über die allerdings nicht absoluten Grenzen der Florengebiete nach natürlichen
Basins, welche von Gebirgen umkettet sind, pflichte ich vollkommen bei. So scheidet
die Bergreihe, welche die Gewässer der tropischen Ostküste Australiens von denjenigen
des Carpentaria Golfes sondert, sehr viele Pflanzen, die nur einem dieser beiden Vertiefungen
ausschliesslich angehören. Zum Theil habe ich diese Grenzlinien angedeutet in meinem
Bericht über die botanischen Ergebnisse der Gregoryschen Expedition durch das tropische
Australien (vide proceed. Linn. Soc. vol II, 137-163) u. in zwei kurzen Abhandlungen
über die Geographie der Pflanzen Australiens, veröffentlicht im Jahr 1852 in Sir Will.
Hookers Journal.
Sehr gern würde ich Ihrem Wunsch entsprochen haben, für eine Abhandlung die ganze
Phytogeographie Australiens umfassend meine Notizen zu ordnen, wäre die Arbeit nicht
zu umfangsreich, um eilig vollendet zu werden. Ich muss mir eine solche für eine etwas
spätere Zeit zur Mittheilung für Ihre ehrwürdige Akademie vorbehalten, u. hoffe inzwischen
wichtige ergänzende Materialien von dem jetzt allgemach meinem Sammler zugänglichen
Gebirgen u. Jungle-Schluchten Nord-Ost-Australiens zu gewinnen. Nicht unwahrscheinlich
birgt auch jene Gegend noch unbekannte Palmen, die offenbar in Australien spärlich
vertreten sind, obgleich diese edle Pflanzenordnung hier die südlichste Grenze erreicht
in 37°30' südl. Breite.
Wunderbar ist es, dass in dieser Breite die herrliche Livistona Australis ihren schlanken
Stamm zu einer Höhe von 80' erhebt, u. zwar in den tiefen Waldschluchten des östlichen
Gippsland. Die speciellen Grenzen der andern Livistona Arten Australiens sind bisher
noch nicht genau ermittelt, u. daher ist auch die geographische Grenze der einzelnen
Arten noch nicht zu umschreiben. Selbige ziehn sich indessen nur längs der waldigen
Ost- u. Nordküste hin, mit Ausnahme einer erhabenen Art, denen der unglückliche Leichhardt
sowohl als ich selbst in den offenen Ebenen oder Abhängen von Arnhems Land hin u.
wieder begegnete.
ist auf das subtropische Ost-Australien beschränkt.
kommt in der einen oder andern kleinen Insel in der Torresstrait vor.
findet sich im äussersten Nordosten Australiens.
zieht sich am Illawarra längs der Ostküste unterbrochen hin, u. gehört auch vielleicht
Nord-Australien an. Calamus Australis ist ziemlich weit durch den tropischen u subtropischen
Osten des litoralen Australien verbreitet. Weder an der Westküste noch an der Südküste
noch im fernen Innern Australiens zeigen sich Palmen, denn die Pflanze, deren der
Reisende Stuart als einer Palme von Central-Australien gedenkt
ist eine Cycadea.
Ihrem Wunsche zu der grossartigen Sammlung von Pflanzen, die Sie besitzen u. entstehen
liessen, beizusteuern hoffe ich wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu genügen.
In der That es liegt eine Anzahl von Pflanzen zur Absendung für Sie bereit.
Darf ich Sie bitten dem kleinen Bildnisse, das ich beizufügen wage, Ihre gütige Annahme
nicht zu versagen und mich dadurch beglücken zu wollen, dass Sie mir erlauben u es
veranlassen, Ihr Bild, gefeierter Mann, in die Reihe der mir befreundeten grossen
Zeitgenossen aufnehmen zu können.
Mit meiner Huldigung zu Ihrer Jubelfeier u dem tiefen Wunsch, dass die Vorsehung Sie
zur Zierde der Wissenschaft u Ihren Verehrern noch lange erhalte bleibe ich
ehrerbietigst der Ihre
Ferd. Mueller.
Melbourne Botanic Garden,
25 March 1864.
Venerable Sir,
Your affectionate letter of 12th of January
has filled me with deep joy and emotion; with joy, because I can bask in the youthful
ardour of your spirit, with emotion, when I realise that you, the genial, thoughtful,
comprehensive scientist looks down so kindly on me, who could be your nephew. Your
words on the great workings of nature and on the laws, which direct the creation of
living things, found a strong echo within me, and it thrills my heart to perceive,
that the important experiences of your active life from the point of view of pure
natural philosophy subtly reflect the truths of the everlasting teachings of theology
as concern our history of creation. What an infinitely more exalted emotion is aroused
by this view, than if we followed Darwin's fallacious conclusions to ascribe the indivisible
harmony and completeness of each living entity not to divine omnipotence, but as originating
in mere chance. O, how low does a person sink, if he denies that all forms of animated
nature are created by the wisdom of the Most High to live through the cycle of their
lifespan according to eternal unchanging laws, so to fulfil their design as independent
entities in the great scheme of nature. We can constantly observe, that we cannot
remove anything essential from the almost innumerable organisms of living nature,
without destroying this beautiful, harmoniously complete edifice. It is, however,
evident that too often we failed to recognise the range of forms of species and the
conditions that change their forms (but do not create species).
I also share your view, noble Sir, on the localised extent of the great floods,
and I am not aware of any words in the Bible, that would condemn such an assumption.
I also agree with your opinion concerning the age of the Australian continent. At
least it seems to me, in as far as we can base it on the findings of palaeontology,
that the living nature of Australia exhibits many types, which approach the remains
of an earlier epoch of creation of organisms buried elsewhere, although such types,
as differing from ours, can only be conditionally relevant to our conclusions. What
you say concerning the series of forms in the
of Brazil, so admirably illuminated by you,
seems to me to indicate that there are many hybrids among these congeners. This,
however, in no way tears down the barrier between the species, as I was able to convince
myself, when penetrating the inner structure of these lovely plants, in as far as
these are represented in Australia (cf. Fragmenta phytographiae Australiae, vol. 1,
pp. 91-96).
The same applies to the series of the
,
,
, and
of Australia, as you specifically point out. Creating nature imprints on the individual
organisms similarities and only thus far a relationship, but gave to the species a
developmental capability, according to which they often adapt to the most diverse
influences, yes, according to which some even accommodate to a glacier climate just
as much as to the scorching desert. But no constant forms ever arise from these influences,
and in the same degree, in which the duration of the influence established the divergent
form, it requires a longer or shorter reverse effect, before the forms return to their
normal or primitive expression.
To me the colourful world of forms in nature appears solely as a complex of species,
in which each species maintains a complete and unassailable independence, even though
similarities will always place certain species in approximation to each other. Ehrhart's
idea
to give a name only to each species is, strictly speaking, the only tenable one,
but in its execution we would lose the important points of reference, which support
particularly our memory, and that allows us the erection of the artificial and therefore
never precisely definable genera. Having wandered through the world as a phytologist
to the extent of about 30,000 English miles, and probably having dissected several
hundred thousand individual plants, the conviction has always impressed itself on
me that — even though I am aware of it — I myself have all too frequently failed to
recognise the limits of species due to lack of knowledge. The only intermediate forms
in the vegetable kingdom, in which species flow into each other, are the hybrids,
which, however, are usually infertile or become extinguished in the following weak
generations; it should be observed here, that so-called hybrids often represent only
the transitions between varieties and not species.
The isolated occurrence of plants in parts of the world distant from those where they
are frequent, as well as the wide distribution of some species (for instance certain
through the tropical zone of both hemispheres) is, I think, often to be ascribed
to the action of migrating birds, while perhaps an untraceable accident of human intervention
may have caused the distribution of individual species into far distant areas of the
globe.
I agree completely with your view on the certainly not absolute limits of floristic
zones according to natural basins, which are surrounded by mountain ranges. Thus the
mountain range, that divides the waters of the tropical east coast of Australia from
those of the Gulf of Carpentaria, segregates very many plants, which belong exclusively
only to one of these two areas. I have in part indicated these dividing lines in my
report on the botanical results of the Gregory expedition
through tropical Australia (see Proceedings of the Linnean Society, vol. 2, pp. 137-163)
and in two short essays on the geography of plants in Australia, published in Sir
William Hooker's journal in 1852.
I should have liked very much to accede to your wish to sort my notes for a paper
covering the whole phytogeography of Australia, if the work were not too voluminous
to be completed quickly. I must reserve such a work for a later date for a communication
for your venerable academy,
and in the meantime hope to acquire important supplementary material from the mountain
ranges and jungle gorges of north-eastern Australia now accessible to my collector.
Very likely that area hides still unknown palms, which are evidently sparsely represented
in Australia, even though this noble family of plants reaches its southern limit here
at the southern latitude of 37°30'.
It is wonderful, that in this latitude the glorious
raises its slender trunks to a height of 80 feet in the deep forest ravines of eastern
Gippsland. The particular limits of the other Australian Livistona species have so
far not been precisely determined, and therefore the geographical limits of the individual
species of this genus cannot yet be defined. They extend, however, only along the
wooded east and north coasts, with the exception of one noble species, which the unhappy
Leichhardt, as well as I personally met with occasionally in the open plains or on
slopes of Arnhem Land.
is restricted to subtropical eastern Australia.
is found on one or another of the small islands of Torres Strait, and
in far north-eastern Australia.
extends intermittently from Illawarra along the east coast, and perhaps belongs also
to North Australia.
is distributed fairly widely through tropical and extra-tropical littoral eastern
Australia. There is no evidence of palms, neither on the west nor on the south coast,
nor in the distant interior of Australia, for the plant from Central Australia identified
as a palm by the traveller Stuart
is a
.
I hope to satisfy at least in part your wish, that I should contribute to the great
collection of plants which you own and brought together. Indeed, a number of plants
are prepared and ready for you.
May I ask you not to refuse acceptance of the small photograph
I dare to enclose, and that you permit me, and bring it about, that I can add your
picture, celebrated Sir, to those of friends of mine among great contemporaries.
With my homage on the occasion of your jubilee
and the deeply felt wish that Providence may long preserve you as an ornament to
science and to your admirers,
I remain respectfully yours,
Ferd. Mueller.